Die Bewohner von Bohuslän – dem westlichen Teil Schwedens von Göteborg bis zur norwegischen Grenze – nennen ihre Küste ganz einfach „Bästküste“ (– was so viel heißt wie die „beste Küste“). Der Grund dafür ist der landschaftliche Liebreiz der unzähligen kleinen Buchten und Inselchen, die man ganz hervorragend mit dem Kajak erkunden kann. Die flachen Granitfelsen, die einen feinen rötlichen Teint aufweisen, sind ganz pittoresk in die Landschaft drapiert und schaffen ein wirklich anmutiges Bild. Das gilt natütlich vor allem dann, wenn die Sonne hervorkommt und das Meer tiefblau schimmern läßt. Es sei eines der besten Tauch- und Schnorchelbreviere, erklären die Bewohner – zwar gibt es keine Korallenriffe, aber die Unterwassersicht ist formidabel und darüberhinaus gibt es einige sehr spannende Lebewesen hier. Mit dem Neopren-Anzug ist alles kein Problem.
Die Hauptsaison in den kleinen Küstenorten wie Grebbestad, Smögen oder Fjällbacka ist nur sehr kurz: sie beginnt Anfang Juli und ist sechs Wochen später schon wieder vorbei. Doch auch außerhalb jener Zeiten, in denen die Schweden in Scharen an die Küste reisen und mit allen möglichen Schwimmgeräten die Gewässer befahren – und im schicken Smögen am Ufersteg vor Anker gehen (man ist hier um gesehen zu werden), hat die Region ihren Charme. „Wir lieben alle Arten von Outdoor-Aktivitäten“, erklärt Skipper Oscar, der wie auch sein Kollege Jarno Touristen mit seinem Kajak begleitet. Die Gewässer an der Westküste sind deswegen optimal, weil es hier kaum Strömungen gibt und zudem die Gezeitenunterschiede nur knapp 60 Zentimeter betragen. Die Grantifelsen bieten auch Schutz vor zu starkem Wind – was man von den rund 10 Seemeilen vor Fjällbacka liegenden Väderöarna (Wetter-Inseln) nicht gerade behaupten kann. Ob der Name tatsächlich von der stürmischen See herrührt, darüber herrscht Unklarheit. „Die Inseln galten seit Menschengedenken als unbewohnbar – und dass obwohl sie so nahe von der Küste entfernt liegen“, erzählt Annika Törntorp, die seit einigen Jahren im kleinen und gemütlichen Restaurant auf der Hauptinsel Störo-Ramno arbeitet. Einsam sei es im Winter, erzählt sie. Und der Wind pfeife so stark, dass man Angst hat, davon zu fliegen. Seit dem 18. Jahrhundert gibt es einen Leuchtturm hier, erzählt sie. „Wenn die Sonne über dem Archipel scheint und der Himmel blitzblank geputzt ist, kann man sich das gar nicht vorstellen, wie schlimm es hier sein kann.“
Grebbestad – Der Beginn eines Kayak-Ausflugs
„Jeder kann Kajak-Fahren“, meint Oscar überzeugend. Die Albträume von unerfahrenen Landratten mitten im Meer plötzlich zu kentern und im Boot eingeklemmt zu sein, sitze tief, kennt der Experte schon in den ersten Momenten des Trocken-Trainings. „Keine Sorge, wenn sich das Boot tatsächlich umdrehen sollte, ist man schneller draußen als man es zunächst vermutet“, zerstreut er die Ängste der Anwesenden. Nach den anfänglichen Erklärungen wie man das Paddel hält und man dieses Boot steuert, erhalten wir – eine bunt zusammengewürfelte neunköpfige Gruppe – Informationen über die geeignete Kleidung. Das Schlagwort dabei heißt natürlich „wasserfest“ – denn man meint fast eine gewisse Boshaftigkeit zu erkennen, wenn die Wolkendecke sehr tief über dem Bootssteg liegt und in wenigen Augenblicken die zweitägige Exkursion beginnen soll. „Vom Wetter hat sich ein Schwede wohl noch nie von seinen sportlichen Aktivitäten abhalten lassen“, meint ein deutsche Team-Kollege, der offensichtlich schon fix damit gerechnet hat, dass die Ausfahrt einen Tag nach hinten verschoben wird. Es hat übrigens nicht geregnet, es hat nur den ganzen langen Tag so ausgesehen als würde es jeden Moment beginnen. Bevor es endgültig losgeht, werden die Kajaks den Teilnehmern zugeteilt. Zugeteilt deswegen, weil es in diesem Team auch zwei Doppelkajaks gibt. Oscar meinte, dass Neulinge sich vielleicht dafür erwärmen könnten, denn diese Zweisitzer „kentern nicht so schnell.“ Cécile aus Bordeaux entscheidet sich für mich. Immerhin hat sie mit zwei Kajak-Touren in der Vergangenheit doppelt so viel Erfahrung wie ich, der bisher noch nie in einem solchen Gefährt gesessen ist. Oscar und Jarno erklären noch weitere Details, während ich mit Cécile Verlegenheitswitze mache, die mir selbst die Furcht vor dieser unfassbaren Wassernähe nehmen soll. Mit den ständig aneinanderscheuernden Hosenbeinen der Plastiküberhose und einem dicken Oberteil mit darübergelegter Schwimmweste klettere ich schließlich ins Boot. Cécile hat bereits vor mir Platz genommen. Zuvor habe ich meine Spiegelreflexkamera im wasserdichten Kofferraum – wie ich den Stauraum vor und hinter unseren Sitzen nenne. Es wird also keine Fotos geben, und damit auch keine Beweise, dass ich ‚Landratte’ je in einem solchen Boot gefahren bin. Aber das ist mir zu diesem Zeitpunkt egal. Über den uneleganten Einstieg in dieses schwimmende Etwas will ich gar nicht erst Worte verlieren.
Der Einstieg – es gibt keine Fotos
In diesem Moment bin ich mir erst im Klaren darüber wie nahe ich der Wasseroberfläche bin. „Beginnt langsam zu paddeln, um Gefühl für das Boot zu bekommen“, lautet die Order. Das Boot hat kaum Tiefgang und jede Bewegung von uns schaukelt nach. Cécile setzt zum ersten Paddelschlag an und zieht kräftig durch. Ich folge ihr nach. Auf einmal löst sich die ganze Spannung total auf. Ich fühle eine Glücksexplosion in mir und die Happiness-Hormone schießen durch meinen Körper. Weg sind Angst und Furcht – ich beginne glucksend zu kichern. Cécile hört das und es kommt mir vor, als lächle sie auch darüber. Dann geht es los. Oscar sammelt die Gruppe zusammen und wir starten.
Ich beginne Céciles Herzschlag wahrzunehmen, tauche das Paddel mit ihr rechts ein, ziehe es locker durch und tauche es dann synchron auf der anderen Seite wieder ein. Jetzt zeigt diese herrliche Gegend verschwenderisch ihre Liebreize. Die tiefhängenden Wolken sind mir plötzlich egal – vielmehr empfinde ich alles als unendliche Freude. Im Konvoi paddeln wir von einer Bucht in die nächste. Das Gefühl ist atemberaubend. Cécile liebt die Passagen zwischen den Felsen, die der Steuermann – in dem Fall ich als Hintermann – mit dem Fuß-Seilzugruder richtig ansteuern muss, ohne dass das knirschende Geräusch von scharfen Steinen und Muscheln am Bootsrumpf hörbar wird.
Kaffeepause und Landung in Valö
Die Kajak-Tour führt von Grebbestad nach Fjällbacka. Die Guides Oscar und Jarno – perfekt mit Seekarte und Navi ausgestattet – führen uns durch die wunderbaren Buchten. Die ersten zwei Stunden vergehen wie im Flug, dann gibt es stilecht schwedische Fika – Kaffee und Kuchen – auf einer unbewohnten Felseninsel. Zwei der neunköpfigen Gruppe sind für die Kocher und das Küchenequipment verantwortlich. Die Guides zeigen, wie man den Gaskocher mit dem Feuersteinam Überlebensmesser entzündet. Nach der Fika wird das ganze Equipment wieder fachgerecht verstaut, die beiden Guides helfen beim Einstieg, und weiter geht die Tour.
Am späten Nachmittag erreichen wir die Insel Valö mit Blick auf Fjällbacka. Auf einer der Inseln vor dem kleinen Städtchen hatte Ingrid Bergman mit ihrem Ehemann ein Sommerhaus. Ihr letzter Wunsch war, dass man ihre Asche über der Bucht der kleinen Stadt verstreut. Jedes Jahr verbrachte sie zwei bis drei Monate hier und nutzte die idyllische Kleinstadt, die im Sommer zum wahren Touristenmagneten wird und ab Mitte August wieder in ihre Beschaulichkeit zurückfällt, für ihre Einkäufe. „Das Geschäft hier ist hart, denn die Hochsaison dauert nur knapp sechs Wochen“, erzählt Hans Holmström, der mit seiner Frau das Restaurant und die Herberge Valö betreibt. „Wenn es sonnig ist, kommen manchmal hundert Gäste zum Mittagessen, wenn es regnet, sind es manchmal auch nur fünf.“ Valö liegt auf einer kleinen Insel vor der Küste Fjällbackas und ist sehr gut auf Kajak-Touristen eingestellt. Der kleine Strand eignet sich hervorragend dafür, die Boote an Land zu ziehen. Hardcore-Kajaker bevorzugen natürlich das wilde Kampieren auf einer der vielen Inseln, die es an der Küste von Göteborg bis zur Grenze nach Norwegen gibt.„Das schwedische Jedermannsrecht erlaubt jedem freien Zugang zu Meer- und Seeufer“, sagt Oscar. Am Abend serviert Hans Seemakrele mit Kartoffeln und einer süßen Senfsauce mit Dille. Der Abend dauert nur kurz, Kayaking macht müde.
Zur Abwechslung ein Speedboot-Ausflug
Muskelschonend hingegen ist der morgendliche Speedboot-Ausflug nach Väderöarna (Wetterinseln). Die westlichsten Ausläufer des Archipels strahlen im morgendlichen Sonnenlicht. „Die schwedische Westküste ist die sonnenreichste Region des ganzen Landes“, erzählt Annika. „Aber das Wetter ändert sich schnell hier. War der Himmel vor wenigen Stunden noch dicht bewölkt, blinkt plötzlich die Sonne hervor und lässt die kleine Siedlung mit dem Wetterturm im hellen und warmen Licht strahlen. Genauso schnell kann allerdings auch ein Sturm aufziehen. Mit dem zunehmenden Schiffsverkehr wurden ab dem 18. Jahrhundert zunehmend Leuchttürme entlang der Küste errichtet und lange waren Leuchtturm-Wärter die einzigen, die hier lebten.“ Nach einer kleinen Wanderung um die Insel und dem Aufstieg auf den Turm der Wetterstation geht es wieder zurück nach Fjällbacka.
Fisch-Mittagessen in Fjällbacka
Das kleine Städtchen mit der Statue von Ingrid Bergman am Hafen zeigt sich von seiner Sonnenseite. Vom Vetteberg, dem höchsten Granitfelsen, hat man einen wunderbaren Blick auf die vorgelagerten Inseln. Seit einigen Jahren spielt das kleine Städtchen übrigens eine bedeutende Rolle als Schauplatz böser Mordgeschichten.
Die Erfolgsautorin Camilla Läckberg hat für ihre Romanfiguren – die Schriftstellerin Erica Falck und den Polizisten Patrik Hedström – ihre eigene Heimatstadt als Location gewählt. Und das hat dem kleinen Städtchen noch mehr Gäste gebracht, denn die Häuser, in denen die Verbrechen geschehen, die Opfer gefunden und die Täter verhaftet werden, gibt es wirklich. Aufgrund der großen Popularität des Ortes gibt es übrigens einige sehr gute Restaurants. Heute wird frischer Fisch mit Kartoffeln serviert. Das opulente Mahl mundet hervorragend. Das obligate Kuchen- und Kaffee-Dessert bildet den Abschluss dieser Gaumenfreuden.
Der harte Weg zurück
Es folgt der letzte Teil des Kajak-Abenteuers: der Weg von Fjällbacka zurück nach Grebbestad. Cécile schlägt nach dem Mittagessen vor, doch den Bus nach Grebbestad zu nehmen. Allerdings befinden wir uns schon drei Kilometer von Fjällbacka entfernt, mitten in einer großen Bucht, in der es eine leichte Strömung gegen die Fahrtrichung gibt. Aufziehender Wind macht das Paddeln schwer, dazu kommen noch kleine Wellen. Die Konzentration auf den Rhythmus des Partners ist jetzt noch wichtiger als am Vortag. Wir kommen plötzlich ganz schnell voran, und Cécile ruft begeistert aus: „Wir sind wirklich großartig!“
Die Stimmung ist trotz des umschlagenden Wetters sehr gut. Wir Anfänger kommen einander mit unseren Booten immer wieder zu nahe und müssen mit dem Paddel bremsen um nicht zu kollidieren. Oscar gibt Anweisungen. „Wer näher am Strand paddelt, spart Kraft.“ Die Fika am unbewohnten Eiland und eine Pinkelpause, die das Ausschälen aus den Bekleidungsschichten nötig macht und wahre Verrenkungskünste verlangt, gehören auch heute ebenso wieder dazu wie der aalglatte Grantifelsen, der einen beim Aussteigen fast auf den Rücken wirft. Oscar und Jarno beobachten alles genau, und wenn sie sehen, dass die Energie langsam, aber sicher nachlässt, gibt es eine Stärkung aus der Nuss-Schoko-Dose. Die letzte Stunde ist die schlimmste. Eine große Blase auf der Hand ist aufgeplatzt und der Wind schlägt uns nun von vorne ins Gesicht. Zu allem Überfluss müssen wir eine Abkürzung durch zwei Felsen aufgrund von Niedrigwasser abbrechen. Das bedeutet, dass wir diese umrunden müssen und das kostet Zeit und Kraft. Jetzt tauchen wir nochmals ordentlich ein, legen zu, doch der Kajak gleitet nur träge über das Wasser. Dann plötzlich taucht vor uns der Landungssteg auf. Und mit ihm tritt dieses tiefe Gefühl der Erleichterung und des „Wir haben es tatsächlich geschafft“ ein. Ganz langsam nähern wir uns dem Steg – so als wollten wir die letzten Minuten, die keinerlei Anstrengung mehr erfordern, noch auskosten. Cécile steigt zuerst aus. Wir sind müde und die Arme fühlen sich an, als hingen rechts und links Gewichte daran. „Ich werde es vermissen“, sage ich zu Cécile. Sie lächelt mich an und wir fallen einander um den Hals.
Andere Aktivitäten in Bohuslän
Die letzten drei Tage in Bohuslän verbringen wir unter anderem mit einer Hummersafari und helfen den Fischern dabei, die Hummerkörbe vom Meeresgrund zu hieven. Als Lohn gibt es im alten Bootshaus kalte gekochte Garnelen und Kaisergranate mit Algenbrot und Bio-Bier aus einer kleinen lokalen Brauerei.
Ehe es Richtung Göteborg geht, nehmen wir im Nordischen Aquarellmuseum in Skärhamn ein letztes Mittagsmahl ein. Vom Restaurant hat man einen großartigen Blick auf die vorgelagerten Schären. Wir stoßen mit einem Glas Weißwein an. Wie lautete der Einstiegssatz nochmals? Die Westküste ist die ‚Best-Küste’. Jetzt haben wir diese Aussage selbst bestätigt und haben dem außer einem ‚Skol’ nichts mehr hinzuzufügen.
Weitere Informationen:
Westsweden Tourism Board.
Insider’s Guide für Events und Abenteuer in West Schweden: Westschweden.
Schwedens Fremdenverkehrsamt Visit Sweden