Ich bin seit fast 20 Jahren selbständiger Journalist – war fast 13 Jahre lang in einer Online-Nachrichtenagentur tätig und habe mich dann auf Reise- und Nachhaltigkeitsthemen spezialisiert und bin schließlich völlig frei geworden. Während meiner Nachrichtentätigkeit habe ich sehr sehr viel gelernt. Wir hatten immer wieder Schulungen von Journalisten und Medienprofis, die uns das Handwerk näherbrachten und streng mit uns waren. Konkret ging es um die Recherche, sowie Fragetechniken am Telefon, aber auch bei Pressekonferenzen und Interviews. Das oberste Gebot bei der Recherche war und ist Check und Gegencheck. Da ich sehr viel mit Forschern sprach, konnte ich manche der von ihnen angewendeten Verfahren, Techniken oder Erkenntnisse natürlich nicht nachprüfen. Das gesprochene Wort meines Interviewpartners galt dann. Aber ich habe keinen Artikel publiziert, der nicht vorher vom Interviewpartner freigegeben worden war –ganz einfach deswegen, weil in der Sprache auch immer Mißverständnisse vorkommen – vor allem dann, wenn Interviews unter immensen Zeitdruck am Telefon geführt wurden. Aufgrund der Tatsache der exakten Einhaltung dieser Richtlinien konnte ich einige hochdotierte Experten als Gesprächspartner für mich gewinnen – die nach eigener Auskunft schon lange nicht mehr mit Journalisten arbeiten wollten.
Wie man eine Geschichte nicht schreibt
Ein Kollege von mir meinte einmal scherzhalber, dass das reine Aufzählen von Fakten keine Geschichte sei. Auch nicht in einer Nachrichtenagentur. Grundlegend ist dort, dass die Breaking-News in den ersten vier Zeilen steht. Alles Weitere folgt dann in den nachfolgenden Absätzen. Das ist die dortige Dramatik. Wenn man 30 Minuten mit jemandem spricht, kann nicht alles Gesagte in dem Artikel vorkommen. Dennoch setzt man einen Akzent als Header an den Anfang. Damit erreicht man Spannung.
In einer Reportage – vor allem bei Reisegeschichten – ist ein chronologischer Ablauf meistens langweilig und fad. Die Reise mag zwar mit der Fahrt zum Airport und danach vom Airport ins Hotel beginnen, aber das ist nur von geringem Interesse für den Leser –außer es ereignet sich etwas Bahnbrechendes. Das ist aber nicht sehr oft der Fall.
Ich habe viele Jahre darum gekämpft, persönliche Geschichten in Ich-Form publizieren zu dürfen. In einer Tageszeitung habe ich einmal die fertig redigierte Geschichte mit den Worten „Wir schreiben keine Ich-Geschichten“ zurückgeworfen bekommen. In einer anderen Zeitung hat man genau diese Geschichte sofort genommen und sich über diesen subjektiven Bericht gefreut. Eine Reisereportage, die das wiedergibt, was ich in jedem Reiseführer lesen kann, ist uninteressant und ein lieber Kollege in einer großen österreichischen Tageszeitung hat mir einmal gesagt. „Schreibens mir die Gschicht dirty….so richtig dirty.“ Ich habe lange Jahre nicht gewußt, was er damit meinte. Heute als alter ‚Hase’ verstehe ich es ganz genau. Er wollte damals schon einen persönlichen Zugang zur Destination – und diese erfolgt IMMER als persönliche Ich-Geschichte.
Wenn ich manchmal in Zeitschriften blättere oder Online-Reiseberichte durchlese, wundere ich mich darüber, wie ungeschickt und holprig manche Texte sind. Da kommt einem schon beim ersten Absatz das Gähnen. Die neuen Online-Meiden machen jeden zum Publizisten – auch wenn dabei leider nichts herauskommt. Andere hingegen wissen es wie es geht – und setzen perfektee ‚Kontrapunkte’ um die Spannung zu steigern.
Rechtfertigung ist die kleine Schwester…..
des schlechten Gewissens“, sagte Hauptkommissar Klaus Borowski im Kieler Tatort einst. Er war sich nicht ganz sicher, von wem dieses Bon-Mot stammt. Aber das ist egal. Was hat das jetzt mit Journalismus zu tun? Vor einigen Wochen berichtete der Chef der steirischen Kronen-Zeitung, Christoph Biró, in seiner Glosse über angebiche Übergriffe durch Flüchtlinge. Eine nachfolgende Recherche ergab jedoch sehr schnell, dass diese niemals stattfanden – weder wußte die Polizei davon, noch die ÖBB deren Waggons angeblich von den Flüchtlingen verwüstet wurden. Es hagelte Beschwerden beim Presserat, eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft wegen des möglichen Tatbestandes Verhetzung sowie zahlreiche Leserbeschwerden waren die Folge. Aber die eigentliche Schweinerei war die Rechtfertigung des Journalisten, der seit 39 Jahren in seinem Job tätig ist. Die Kleine Zeitung druckte sie mit direktem Zitat: „Ich habe gelernt Fakten von Indizien zu unterscheiden und Beweise zu würdigen. Hintergrundinformationen zu bekommen zählt zum Handwerk. In meiner Kolumne (..) habe ich das rechte Augenmaß verloren. Eine persönliche Enttäuschung im Umgang mit Flüchtlingen hat mitgespielt, dass ich die Zustände so überzeichnet habe.“ (so stand es wortwörtlich da). Ich habe mich über diese Sätze maßlos aufgeregt, weil ich finde, dass die Schweinerei, die dieser Herr verursacht hat, mit dieser Rechtfertigung noch einen obenauf gesetzt bekommt. Das Behaupten von Tatsachen, die frei erfunden sind, stellen keineswegs eine Überzeichnung dar, sondern sind und bleiben eine Lüge. Doch damit nicht genug. Dieser Herr läßt nichts aus, sich noch weiter in den Sumpf zu reiten, wenn er als Rechtfertigung schreibt: „Er habe in überspritzter Form Missstände angeprangert, sich dabei aus persönlichen Erlebnissen zu vermeintlichen Tatsachenfeststellungen und Schlußfolgerungen hinreißen lassen, die nicht restlos überprüfbar sind.“ Auch das stimmt so nicht, denn auch hier lügt er schlichtweg. Dadurch, dass es diese Vorfälle nicht gegeben hat – bezeugt durch die Polizei und die ÖBB – mauert er seine Lüge weiter. Und auch hier ist die Entschuldigung die eigentiche Sauerei, denn da fällt kein Wort von „Ja, ich habe gelogen und es tut mir leid“. Das finde ich charakterlich verwerflich. Und das steht in einer Zeitung, die das Unwort „Gutmensch“ – was so ziemlich das Letzte ist, was man sagen kann (wäre das Gegenteil dann ein „Schlechtmensch“ oder wie?) – ganz häufig verwendet. Natürlich ist es keine journalistische Voraussetzung höflich, nett und liebenswürdig zu sein – doch steht das Geschriebene in keiner Relation dazu.
Abgesehen davon, konnte man in der Presse auch davon lesen, dass dieser Ehrenmann sich nur kurzfristig aus dem Geschäft zurückgezogen hat….und bald wieder dort sitzt, wo er immer saß. Ja, die Macht über andere zu urteilen, gibt er scheinbar nicht gerne ab. Dass man es in der Zeitung im Kleinformat mit Tatsachen nicht ganz so genau nimmt, wußten ja ohnehin alle, aber diese Geschichte ist leider rekordverdächtig. Sauberer Journalismus ist das jedenfalls nicht.
Der ewige Witz der alten Dame…
Der geht so: Als die alte Dame gefragt wird, was sie zu diesem Thema denkt, antwortet sie „wie kann ich wissen, was ich denke, bevor ich höre, was ich sage….“ Manchmal scheint es mir, dass es im Journalismus auch ganz ähnlich zugeht – außer, dass man da das Wort „sagen“ durch das Wort „schreiben“ ersetzen muss. Mein kurzer Aufsatz hier ist nur eine Selbstreflexion und die Aufforderung an mich selbst, mir und meinen Idealen treu zu bleiben und sauber zu arbeiten…das habe ich mir an die Fahnen geheftet und das gilt auch für die Erzählung einer Reise.
Danke fürs Zuhören!