Das Ende der ersten Fahrt: Au Revoir liebe Gäste
Ich habe mir nicht vorstellen können, dass man mit den Gästen nach 16 Tagen so vertraut werden kann. Auch wenn der österreichische Facharzt – übrigens einer der geistreichsten Passagiere – über die hustenden Mitreisenden witzelte (und das Schiff als „Cough Boat“ (in Anlehnung an das ‚Love Boat’ titulierte), so kam das Ende dann trotz der Einhaltung des Fahrplans abrupt.
Der Abschied im Speisesaal war irgendwie seltsam – und er hat mich berührt. Natürlich gab es da auch einige Gäste, die ich in den vergangenen 16 Tagen nie zu Gesicht bekam (oder es kam mir zumindest so vor). „Denen könnte ich jedenfalls kein Alibi geben“, dachte ich. Aber das war ja gottseidank nicht erforderlich.
Am Ende der Reise standen wir alle am Pier und winkten unseren aussteigenden Passagieren zu. Irgendwie war das leere Schiff ein seltsamer Anblick – gepaart mit einem Gefühl der Ungewissheit. Ungewissheit darüber, wer jetzt als Nächstes an Bord kommen wird.
Keine Zeit zum Durchatmen: Neue Gäste im Anflug
Zeit zum Durchatmen hat man am letzten – und zugleich ersten – Tag nicht. Das wußte ich schon. Tagwache war gegen 6:00, weil wir schon um 7:00 in Punta Arenas einliefen. Die Müdigkeit frisst in gewissem Maß auch die Emotionen weg – oder sagen wirs so: die Emotion schläft einfach noch.
Was man als Expedition-Crew vorab schon weiß, ist der provisorische Reiseplan und die Zahl der zu erwartenden Passagiere mit Aufschlüsselung ihrer Herkunftsländer. Es würden 425 werden – also um 50 mehr als bei der vorigen Fahrt. Dass das eine Herausforderung wird, war klar.
Die Chance meine ‚Schuhschachtel’ gegen eine Kabine mit Luken zu tauschen, konnte ich mir also gleich aus dem Kopf schlagen. Letztlich habe ich mich mit meiner Schuhschachtel dann ja arrangiert – oder einigen wir uns auf den Satz: „Der Mensch ist ein Gewohnheitstier“ (im engl. Original: „You’re getting used to it“). Dies ist übrigens auch der Titel meines bisher unvollständigen Tagebuchs, das unter meiner ‚Beschäftigungstherapie als Expedition-Crew‘ litt (und es immer noch tut).
Ach ja, ich kam als Lektor
Was ich in den beiden vorigen Erzählungen ganz vergaß, waren meine – leider nur sehr spärlichen Auftritte im Auditorium – das hier offiziell ‚Amphitheatre’ heißt. Ich hatte insgesamt 4 Vorträge in Englisch und Deutsch vorbereitet. Darüberhinaus hatte ich auch noch meinen Film, der ebenfalls in zwei Sprachen vorrätig war.
Man glaubt es kaum, aber in den 16 Tagen war die Zeit zu kurz, um all das unter einen Hut zu bringen. Ich bekam allerdings die Möglichkeit meinen Vortrag über die politische Situation der Antarktis mehrmals zu halten. Vortragssprache war Englisch (und Andrea übersetzte mich ins Deutsche, denn in unserem Amphitheatre gab es so kleine schwarze Übersetzungskästchen. Ich weiß bis heute nicht, wie ich übersetzt klinge. Offensichtlich machte Andrea ihren Job sehr gut, denn meine Zuhörer waren sehr zufrieden).
Ich hatte auf beiden Reisen auch je zwei Vorführungen meines Films, der sehr treffend als „Dokumentar-Kunstfilm“ angekündigt wurde. Auch hier gab es nur die Vorführung der englischen Version – meine sonore Stimme der deutschen Fassung blieb damit ungehört.
Auf der zweiten Reise hatte ich einen deutschen Gast, der quasi zu meinem Fan wurde und der meinen Vortrag über den ‚Antarctic Treaty’ mit den Worten quittierte: „Wolfgang, du bist ne echte Rampensau. Im besten Sinn des Wortes.“ Da die Vorträge gut liefen, hätten es nach meinem Geschmack auch ruhig mehr sein können.
Wir fragen unsere Gäste nach ihrer Zufriedenheit
Die Befragung unserer Passagiere auf der Weihnachtsfahrt brachte uns als Crew in ungeahnte Höhen: man liebte uns offensichtlich (wohl aber auch das Wetter und die Fahrtbedingungen für die wir ja nichts konnten). Jetzt – auf der zweiten Reise – sollten wir dieses tolle Ergebnis zumindest halten. Die ersten beiden Anlandungen – Garibaldi Fjord und Puerto Williams waren toll. Bei Kap Hoorn machte uns der Wind einen gehörigen Strich durch die Rechnung. Die starke Dünung machte das Tendern unmöglich. Dafür umrundeten wir die Insel einmal komplett – und hatten wirklich tolle Ausblicke.
Die Fahrt über die Drake-Passage war auch sehr ruhig und die ersten Antarktis-Anlandungen waren wieder sensationell. Ich spürte eine gewisse Routine aufkommen – und die machte mich sehr geschmeidig. Wie schon zuvor waren die 5 Antarktis-Tage sehr lange und sehr dicht.
Ich erlebte diesmal auch die nächtliche Fahrt durch den Lemaire-Kanal (den ich beim letzten Mal krankheitsbedingt verschlief – und dabei einen großartigen Sonnenuntergang mit blauvioletter Landschaft versäumte). Diesmal war die dominante Farbe gelb über gold bis rot – also noch weitaus eleganter. Trotz des spektakulären Sonnenuntergangs gegen 22:30 blieb es bis 0:30 hell. Das Wechselbild der Farben war umwerfend (ich gelobe weitere Fotos zu einem späteren Zeitpunkt). Als ich ins Bett fiel, war es bereits nach 01:00. Somit wurde das meine kürzeste Nacht zum Schlafen.
Port Lockroy: Vier nette Ladies kommen an Bord
Mein Expeditionsleiter hatte die Gabe, die Stärken seiner Schäfchen (in diesem Falle dem Expeditionsteam) recht schnell zu erkennen. Das war auch der Grund, warum ich auf beiden Fahrten dazu angehalten war, beim Post-Shop von Port Lockroy, der zu uns an Bord kam, als Verkäufer auszuhelfen.
Bei der ersten Fahrt war das insofern hart, weil ich an diesem Tag wohl Fieber hatte und besser im Bett aufgehoben wäre. Bei der zweiten Fahrt hingegen war ich bestens vorbereitet und hatte mit den vier netten Ladies, die in dieser Saison (von November bis März) hier Dienst machten, einen kurzen E-Mail-Austausch, wo ich um „mehr Stoff zum Verkauf“ bat.
Wir waren schließlich 50 Passagiere mehr und hatten den Ablauf so gestaltet, dass wir früher mit dem Verkauf beginnen konnten. Das ganze war ein Wahnsinnsspektakel. Die Passagiere waren in Doppelreihen erschienen und die Kassiererin kam mit dem Geld-Einnehmen nicht nach. Zahlreiche Artikel waren total ausverkauft.
Angeblich hatte ich den Verkauf extrem angetrieben und die Kauflaune meiner Kunden erhöht. Jedenfalls hatten die vier Ladies einen schönen Abend, weil sie bei uns an Bord blieben und in den Genuss von Buffet und Wifi sowie einer heißen Dusche kamen (Port Lockroy ist bei aller Liebe zur Antarctic Heritage nicht wirklich luxuriös und bequem).
Jedenfalls war ich am nächsten Morgen vor unserer Anlandung in Damoy Point dazu aufgefordert, die Damen mit all den Kisten und Schachteln in Port Lockroy abzuliefern. Der Abschied war wirklich ein bisschen traurig, weil wir so viel Spass hatten.
Der letzte Antarktistag und eine Überraschung
Die Sonne stand hoch und das Himmelszelt war weit. Die Antarktis zeigte sich in ihrer ganzen Pracht. Die Anlandung in Damoy Point am 15. Jänner sollte eigentlich die vorletzte werden, denn ein Aufenthalt in Yankee Harbour (Greenwich Island) war noch geplant. Als wir erschöpft um 16.00 abfuhren, war der Himmel immer noch blau und die Sonne schien. Als wir alle an Bord waren, kam die Durchsage, dass wir schnurstracks auf die Falkland Inseln fahren würden und die letzte Anlandung wegen einer Schlechtwetterfront absagen müssten.
„Wieder eine Ausrede“, spotteten manche. Doch diese Worte sollten die Ignoranten strafen: Die Nacht blieb ruhig, aber nur bis 02:30. Dann ging die Waschmaschine los. Das Schiff wurde durchgerüttelt und kräftig geschüttelt. Es fühlte sich an, als schlüge jemand mit einer Riesenfaust neben der Midnatsol ins Wasser. Ich wachte auf, weil ich glaubte aus dem Bett zu fallen. Das Geschaukle war der pure Wahnsinn. Ich hatte in weiser Voraussicht Laptop und Kamera am Boden unter dem leeren Sofa deponiert – und die Tablette gegen Seekrankheit unmittelbar neben dem Bett gelagert. Diese würde mir 6 Std Schlaf garantieren – zur Absicherung stellte ich den Wecker.
Am Morgen sprach nicht der Expeditionsleiter ins Mikro sondern der Kapitän höchstpersönlich: „Wer irgendwann einmal den Wunsch verspürte, einen Hurrikan auf hoher See zu erleben, kann das jetzt von seiner Liste streichen“, sprach er. Mit etwa 130 kmh tobte der Sturm und die meterhohen Wellen blieben uns noch weiter erhalten. (Wellen ist eine Untertreibung, denn das was man draußen sah, war ein Ensemble aus weißen Schaumkronen.) Es würde sich langsam beruhigen, sagte der Bootsführer um 8.00 morgens. „Bis wir Stanley/Falkland erreichen, wird es noch mindestens 26 Std dauern.“
Der Speisesaal war beim Frühstück fast leer und füllte sich auch beim Buffet-Lunch nicht wirklich. Groß war die Freude, als wir am Folgetag frühmorgens in Stanley am Pier anlegten. Ich konnte es kaum erwarten, endlich wieder festen Boden unter den Schuhen zu spüren und mußte feststellen, dass ich jetzt ‚landkrank’ war und so ging als wäre ich besoffen.
Falkland: Drei Tage Sensation
Ich habe diese Inseln immer geliebt. Dieses putzige Hauptstädtchen Stanley mit seiner Hauptstraße entlang des Meeres, die nackten unbewachsenen Hügel und dieses Wetter, das innerhalb von 10 Minuten von feuchten Nieselregenschauern zum knallblauem Himmel mit kräftiger Sonne wechselt. Das Wetter bei der Anlandung war lausig – aber wie gesagt ändert sich hier alles rasend flott und ich, der wieder die deutschen Gäste zur Citytour begleitete, war einfach nur happy.
Mit meinem Kumpel Udo – wir zwei haben uns gefunden – freuten wir uns auf eine deftige Falkland-Mahlzeit (Fish&Chips und/oder Burger). Es kam alles auch so. Die Gäste waren alle total entspannt und glücklich. Die Falklander erzählten, dass vor einigen Tagen ein Schiff mit 2.000 Passagieren hier landete und alle Anwesenden überforderte (es gab auch die Ansage, dass es unverständlich sei, wie man auf so einem schwimmenden Hochhaus Urlaub machen kann).
Für unsere Gäste war die Tatsache, dass es hier ein Shopping-Erlebnis gab (die Stanley-Shops sind wirklich nicht schlecht) sehr erfreulich. Dadurch, dass wir Yankee Harbour nicht anlaufen konnten, blieben wir deutlich länger in Stanley, so dass auch jene, die den Bluff Cove Ausflug (der einzigen Königspinguin-Kolonie der Falklands) machten, noch rechtzeitig zum Shoppen nach Stanley konnten.
Die echte Sensation war allerdings der Tag auf New Island: Prachtvolles Wetter ohne Wolken und herrlichen 16 Grad. Ich hatte am Morgen allerdings einen ziemlichen Schock bekommen und fast völlig meine Nerven weggeschmissen. Der Expeditionsleiter hatte mich mit drei Kollegen dazu beordert, den Pfad in die Robbenbucht mit den roten Flaggen auszustecken. Der Weg dorthin ist lang und es gibt weder eine Markierung noch einen ausgetretenen Pfad. Als ich mit meinen Kollegen am Gipfel des Hügels stand, wußte ich plötzlich nicht mehr, wo diese dämliche Bucht lag.
Das nächste Problem war, dass die ersten Passagiere aber schon an Land waren als wir immer noch am Berg herumirrten. Erschwerend kam noch hinzu, dass der Funkkontakt zum Schiff und zu den Kollegen wegen der Hügel unterbrochen war. Udo hatte einen klaren Kopf bewahrt und mich beruhigt. Ich folgte meiner Intuition und ging bergab und landete genau da, wo ich hin sollte. Udo ging von dort zurück und steckte den besten Weg mit den Flaggen aus. Ich blieb fast vier Stunden an diesem paradiesischen Platz sitzen und genoss diese Szenerie. Das wurde einer der schönsten Tage der ganzen Reise.
Zum Abschluss gab es übrigens noch eine letzte Anlandung auf Carcass Island, wo ich leider keine Premium-Position zu halten hatte – aber die Bucht von New Island wäre ohnehin kaum zu toppen gewesen. Dennoch genoss ich den Tag hier sehr. (Fotos von den in Erdlöchern brütenden Pinguinen von Carcass Island werden auch folgen).
Das Ende kommt sehr schnell
Die letzten Tage vergingen wie im Flug. Als wir die Falkland Inseln hinter uns ließen, war mir plötzlich klar, dass die Fahrt nun unweigerlich zu Ende ging. Ich hatte mich mit der ‚Schuhschachtel’ arrangiert und merkte, wie sehr man sich an Sachen gewöhnen kann, wenn man sich darauf einläßt.
Alles in allem war die zweite Fahrt wesentlich leichtfüßiger und auch lustiger. Ehe ich mit einem Großteil der Crew von Bord ging, verabschiedeten wir uns am Pier wieder von unseren Passagieren. Es war vielleicht ein bisschen weniger herzlich als bei der ersten Fahrt (vielleicht auch deshalb, weil die erste Gruppe doch deutlcih kleiner war und es meine erste Tour war), aber dennoch sehr nett.
Der Abschied von den Kollegen ging ganz schnell – und plötzlich stand ich am Flughafen in Punta Arenas und wartete auf den Flieger nach Santiago. Als ich am Abend im Airporthotel in Santiago saß, war mir nicht bewusst, dass dieses Abenteuer jetzt vorüber war. Ich saß da, trank ein Bier und war in erster Linie müde. Allerdings stand mein nächstes Abenteuer bereits bevor: um 05:10 am nächsten morgen ging mein Flugzeug nach Havanna………das wird, wie ich gerne zu sagen pflege, eine andere Geschichte.
Weitere Informationen
Link zur offiziellen Page meiner zweiten HURTIGRUTEN Fahrt: MIDNATSOL REISE 06.01.2017
Antarctica 2016/17: Mein Leben an Bord der Midnatsol (2. Teil)